Flüchtlinge, Fake-News, Union, Koalition: Bevor die Kanzlerin wieder Kanzlerin werden kann, muss sie eine Reihe herkulischer Aufgaben meistern.
Von Christoph Herwartz 21. November 2016, 11:58 Uhr Barack Obama sieht Politik als einen Staffellauf: Die Aufgabe von demokratisch gewählten Politikern sei es, einen Vorsprung herauszulaufen und dann den Stab weiterzureichen, sagt er. Die Verantwortung für die USA muss er bald Donald Trump überlassen. Die Verantwortung für die Gemeinschaft der westlichen Demokratien hat er in der vergangenen Woche feierlich Angela Merkel übergeben. Merkel hat sich dazu entschlossen, diese Aufgabe anzunehmen, auch wenn sie den Eindruck von sich weist, sie sei jetzt die Retterin der freien Welt. Sie will Deutschland weiter führen und sie will die Lücke füllen, die durch die Schwächung der USA entsteht. Damit Merkel den Staffelstab weitertragen kann, muss sie die Bundestagswahl 2017 gewinnen. Im Ausland werden das viele für eine Formalie halten. Denn Deutschland unter Angela Merkel ist mal geliebt, mal verhasst, aber vor allem erfolgreich und mächtig. Die Kanzlerin steht für Konstanz in Europa: für ein Griechenland innerhalb der Eurozone, für einen Donbass innerhalb der Ukraine, für einen Zusammenhalt der EU. Kaum vorstellbar, dass sie diese Aufgaben meisterte, ihr in Deutschland aber ihr Amt entgleitet. Die Wahl 2013 gewann Merkel mit dem schlichten Versprechen, die Bürger nicht zu sehr mit den Umwälzungen der Globalisierung zu belasten. Dieses Versprechen hat sie nicht gehalten. Die Globalisierung haben die Deutschen wie kein anderes Volk gespürt, durch die Ankunft von fast einer Million Flüchtlingen, und die Verantwortung dafür trägt Merkel. Die erste Aufgabe, die nun vor ihr liegt, ist darum diese: Sie muss glaubhaft machen, dass nie wieder so viele Flüchtlinge kommen werden wie 2015, wie es die CDU in ihrem neuen Leitantrag verspricht, und dass sie das Land nicht überfordern. Das kann sie erreichen, indem sie entweder für eine größere Aufnahmebereitschaft wirbt, was allerdings die AfD erstarken lassen dürfte. Oder indem sie in Zusammenarbeit mit der Türkei und anderen Mittelmeer-Anrainern die Flüchtlingsrouten nach Europa erschwert. Zweites scheint derzeit einigermaßen zu funktionieren, allerdings zu hohen politischen Kosten: Deutschland kooperiert mit einem türkischen Regime, das von Jahr zu Jahr autoritärer agiert, und es sieht dem Sterben auf dem Mittelmeer zu, wo 2016 schon bis Oktober mehr Flüchtlinge umkamen als im ganzen Jahr 2015. Die zweite Aufgabe wird es sein, die Union hinter sich zu vereinen. Zweifel an Merkel gibt es seit über einem Jahr, seit der Flüchtlingskrise, bislang hat sich in der CDU allerdings niemand gefunden, der sich offen gegen Merkel gestellt hätte. Nun wäre es dafür reichlich spät. In der Natur der CDU liegt es, sich geschlossen hinter ihre Vorsitzende zu stellen, selbst wenn es Bedenken gegen sie gibt, erst recht wenn sie seit elf Jahren erfolgreich regiert und der Partei schon drei Wahlsiege beschert hat und ein Wahlkampf bevorsteht. Für die CSU gilt das allerdings nur bedingt, was weniger am Parteivorsitzenden Horst Seehofer liegt, als an seiner geschwächten Position. Seehofer kann Merkel monatelang unter Druck setzen, dann aber wieder für sie kämpfen. Aber gilt das auch für seine Partei? In der CSU läuft ein Machtkampf. Seehofers Rivale Markus Söder möchte den Parteichef verdrängen und er macht das, indem er noch rechtere Positionen bezieht. Söder reagierte deshalb auch sehr kühl auf Merkels Ankündigung, wieder anzutreten. Mit ihm wird eine blinde Merkel-Gefolgschaft nicht zu machen sein. Die CSU will deshalb auch erst im ersten Quartal entscheiden, ob sie Merkel als Kanzlerkandidatin unterstützt. Da wird sie noch Überzeugungsarbeit leisten müssen. Sodann braucht Merkel, dritte Aufgabe, ein Wahlkampfthema, das sowohl die AfD als auch die SPD auf Distanz hält. An der Stärke der AfD wird bemessen werden, ob Deutschland wie so viele andere Staaten dem Sog des Populismus erlegen ist, oder ob Merkel gar als Bollwerk gegen diesen Sog in die Geschichte eingeht. Ganz schlicht geht es aber auch darum, wie viele Stimmen die AfD der Union wegnimmt. Die Stärke der SPD ist wiederum entscheidend für die Frage, wer nach der Wahl die besseren Koalitionsmöglichkeiten hat. Bekämen SPD, Linke und Grüne wieder zusammen eine Mehrheit im Bundestag, könnten die Sozialdemokraten in die Versuchung kommen, eine rot-rot-grüne Koalition zu bilden, um den Kanzler zu stellen. Die CDU wird also erstmals von beiden Seiten angegriffen: von links und von rechts. Was könnte aber ein Gewinnerthema für die Union sein? Ein solches Thema müsste an die Mitte der Gesellschaft gerichtet sein, es müsste ausreichend emotionalisierbar sein und es sollte trotzdem nicht jene abschrecken, die Merkel für ihre Haltung in der Flüchtlingsfrage achten. Mit Innerer Sicherheit, der Sicherung von Arbeitsplätzen und sozialer Absicherung allein wird das nicht zu machen sein. Falschen Gerüchten entgegenwirkenDie vierte Aufgabe wird es sein, falschen Gerüchten etwas entgegenzusetzen. Im US-Wahlkampf war zu beobachten, wie erfundene Nachrichten hunderttausendfach geteilt wurden. Der Papst habe sich für Donald Trump ausgesprochen und Hillary Clinton habe Waffen an den sogenannten "Islamischen Staat" verkauft, hieß es dort. Einige der größten Facebook-Seiten, die diese Lügen verbreiteten, entstanden mitten im Wahlkampf aus dem Nichts und gewannen innerhalb von Wochen relevanten Einfluss. Auch bei der Brexit-Abstimmung in Großbritannien schafften es falsche Behauptungen als mit der Wahrheit gleichwertige Argumente in die Debatte. Deutschland ist gegen solche Effekte nicht immun. Man erinnere sich nur an den Fall eines angeblich vergewaltigten deutsch-russischen Mädchens, der wochenlang für Unruhe sorgte. Wie man unter diesen Bedingungen Wahlkampf machen soll, ist nicht geklärt. Eine weitere Rahmenbedingung ist die direkte Einmischung Russlands in Wahlkämpfe westlicher Staaten. Sich darauf vorzubereiten ist Aufgabe fünf. Glaubt man den US-Geheimdiensten, so waren es mit dem Kreml in Kontakt stehende Gruppen, die per Hackerangriff E-Mails aus der Spitze der Demokratischen Partei ausspähten, sie an WikiLeaks weitergaben und damit die Stellung Hillary Clintons schwächten. Eine der Gruppen soll dieselbe sein, die im Sommer 2015 in das System des Bundestags eindrang. Neben solchen Cyberangriffen nimmt Russland auch über die Förderung von Parteien Einfluss auf europäische Wahlkämpfe. Die sechste Aufgabe, nach einer erfolgreichen Wahl einen Koalitionspartner zu finden, wirkt im Vergleich dazu überschaubar. Dass es für ein klassisches schwarz-gelbes Bündnis reicht, ist unwahrscheinlich. Eher muss Merkel daran arbeiten, die Interessen der CSU mit denen der Grünen zu vereinen, vielleicht sogar zusätzlich die von FDP und Grünen, für ein Jamaikabündnis. Anderenfalls müsste sie ein neues Bündnis mit der SPD schmieden, was Merkel mittelfristig recht sein dürfte. Allerdings würde eine dritte große Koalition innerhalb von vier Legislaturperioden ein fatales Signal aussenden: dass nämlich der demokratische Wechsel kaum noch funktioniert. Hat es Merkel so weit gebracht, muss sie außerdem sicherstellen, dass der demokratische Wechsel innerhalb ihrer Partei noch funktioniert. Das heißt, sie muss daran arbeiten, eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger aufzubauen, der sie spätestens 2021 als Kanzlerin oder Kanzler und an der Parteispitze ablöst. http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-11/angela-merkel-wahlkampf-bundestagswahl-2017/komplettansicht
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